Agiles Arbeiten braucht Verantwortung – eine Frage der Haltung
Unternehmen müssen in einer Welt mit hoher Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ungewissheit (die sog. VUCA-Welt) ihren Platz behaupten. Dies erfordert Flexibilität und Beweglichkeit der Organisation und der darin arbeitenden Menschen. Dazu muss Verantwortung in allen Bereichen eines Unternehmens praktiziert werden. Das geht in Unternehmen, die autonomes Handeln von Mitarbeitenden ermöglichen.
VUKA-Welt und Digitalisierung brauchen eine neue Haltung
Unternehmen müssen in einer Welt mit hoher Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ungewissheit (die sog. VUCA-Welt) ihren Platz behaupten. Dies erfordert Flexibilität und Beweglichkeit der Organisation und der darin arbeitenden Menschen. Begriffe wie New Work und Agilität scheinen heute die Antwort auf dieses Umfeld zu sein. Nicht nur für Projekte, sondern auch für Führung und die Gestaltung der Organisation. Möchte ein Unternehmen agil handeln können, braucht es auf allen Ebenen des Unternehmens ein hohes Maß an eigenständigem Handeln und damit an Übernahme von Verantwortung.
Aktiv in die Verantwortung zu gehen, bedeutet sich von einer Opferhaltung, im Sinne einer unterverantwortlichen Haltung, zu verabschieden. Unter Opferhaltung oder Opferverhalten verstehe ich das Erleben von Gedanken wie „Ich kann da nichts tun“, „Weshalb immer die Kleinen“, „Das ist Aufgabe der anderen.“ „Wenn ich könnte, wie ich wollte …“ u.ä. Also Gedanken, die jede*r von uns kennt und zutiefst menschlich sind. Wenn dies jedoch über einen langen Zeitraum stattfindet, kann dies zu einer Haltung werden, die in uns Hoffnungslosigkeit, Ärger und andere wenig hilfreiche Emotionen hervorruft und in weiterer Konsequenz zu hinderlichen (Nicht-)Handlungen führt. Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen wird zu einer bedeutsamen Haltung, die aktiv immer wieder auf´s Neue eingenommen werden muss.
In unserer Gesellschaft gibt es zum selbstverantwortlichen Handeln entgegengesetzte Entwicklungen. Es werden immer mehr Gesetze gefordert und gemacht, auch um bequeme Rückzugsgebiete à la „Ich bin nicht Schuld.“ oder „Das geht mich nichts an.“ zu definieren. Und in der Politik scheint die Strategie „Wir sind die missverstandenen Opfer.“ immer häufiger als Erfolgsrezept eingesetzt zu werden. Damit wird ein wenig hilfreiches Vorbild gegeben. Dies fördert nicht die Übernahme von Selbstverantwortung, und das Leben von Verantwortung gegenüber anderen. (Selbst-)Verantwortung zu übernehmen und zu leben stellt damit eine Kompetenz und Haltung dar, die im professionellen Kontext gefordert und entwickelt werden muss.
Agilität braucht Autonomie
Viele Unternehmen setzen in der Entwicklung einer agilen Organisation, Führung und Arbeitsweise auf das Training von neuen Arbeitstechniken und Methoden wie Kanban und Scrum. Und in der Organisation werden beispielsweise Hierarchieebenen reduziert, „agile Führungstechniken“ gelernt, Teamwork betont und die „eigenverantwortliche, mitdenkende“ Mitarbeit eingefordert. All das zielt darauf ab, Mitarbeitenden mehr Verantwortung für die Erbringung von Arbeitsergebnissen zu geben. Ja, das kann alles unterstützend wirken. Nein, das bedeutet nicht unbedingt, dass sich das Unternehmen und die Mitarbeitenden in Richtung Agilität entwickeln. Sie lernen etwas. Jedoch ist die Frage, inwieweit sich die Haltung und Einstellung gegenüber dieser neuen Arbeitsweise ändert. Manchmal entsteht der Eindruck, dass von den Mitarbeitenden unter dem Titel „Agilität“, auf einer verdeckten Ebene, eine neue Form der Effizienzsteigerung erwartet wird.
Je nach Unternehmenskultur und Situation können Weiterbildungsmaßnahmen für den Aufbau eines kognitiven Verständnisses zur Haltung „Führung mit und über Verantwortung“ und „Arbeiten mit Verantwortung“ unterstützen. Um Verantwortung leben und arbeiten zu können, braucht es sowohl in der Organisation entsprechende Strukturen, als auch bei den Mitarbeitenden Kompetenzen, die ein professionell autonomes, selbstverantwortliches Handeln ermöglichen. Autonomie lässt sich über Reflexion und Supervision von Einzelpersonen, Teams und Gruppen nachhaltig fördern und stärken.
Autonomie im TA Verständnis fördern
Ich verstehe unter autonomen Personen Menschen, die eigenständig und unabhängig beurteilen, entscheiden und handeln. Dabei können sie ihre Bedürfnisse, Interessen und Möglichkeiten wahrnehmen und realistisch mit denen von anderen Personen und Institutionen abwägen. Auf dieser Basis leiten sie selbstbestimmt ihre Handlungen ab.
Gemäß des Begründers der Transaktionsanalyse, Eric Berne, ist diese personengebundene Autonomie über drei Säulen erkennbar:
- Bewusstheit:
Menschen können autonom agieren, wenn Sie sich ihrer eigenen Fähigkeiten, Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle, Einstellungen und Gedanken bewusst sind. Wenn Sie unterscheiden können was habe ich von früheren Zeiten oder von bzw. für Andere übernommen und was ist wirklich meines. Um dann zu entscheiden, welche Gefühle, Gedanken und Handlungen ich hier und jetzt als passend setzen möchte. - Spontanität:
Menschen agieren autonom, wenn Sie in verschiedenen Situationen auf ihre vollen Ressourcen und Fähigkeiten zugreifen können und auf Basis der Bewusstheit entscheiden, was hier und jetzt angemessen ist. Wenn Menschen sich nicht aufgrund von zurückliegenden Erfahrungen unreflektiert einschränken lassen oder sogar selbst boykottieren. - Intimität:
Autonom agierende Menschen sind fähig zur Intimität. Unter Intimität wird hier verstanden, dass Menschen mit einer offenen und klaren Kommunikation zu anderen Menschen Beziehungen aufbauen und gestalten können. Autonome Menschen formulieren ihre Bedürfnisse im Zusammenleben und -arbeiten über eine direkte, offene, aufeinander bezogene Kommunikation. Sie „erschwindeln“ sich das nicht über eine unbewusste, verdeckte Ebene.
Menschen haben verschiedene Ausprägungsgrade von Autonomie. Unsere Autonomie im Denken, Fühlen und Handeln ist abhängig von unseren Lebensphasen, dem Umfeld und den Lebensumständen. Das Streben nach Autonomie ist daher ein lebenslanger Prozess und ein Ziel.
Autonomie im Organisationskontext fördern
Wenn in Unternehmen im obigen Sinne viele Menschen mit einem hohen Autonomiegrad arbeiten, bedeutet dies nicht automatisch, dass das Unternehmen autonom agieren kann. Wie erläutert, ist ein autonomes Denken und Handeln abhängig von den umgebenden Strukturen. Damit Menschen in Unternehmen autonom agieren können, braucht es eine Organisation die dies zulässt bzw. ermöglicht. Übertragen bedeutet dies, dass der Grad von Autonomie in einer Organisationen durch folgende drei Säulen erkennbar ist (ein Konzept nach Hans-Georg Hauser):
- Reflexionsfähigkeit:
Damit Menschen entscheiden können, welches Verhalten hier und jetzt passend ist, braucht es auf organisationaler Ebene die Fähigkeit und Erlaubnis zu reflektieren. Reflektierende Organisationen haben über sich und ihre Umgebung eine wesentlich größere Bewusstheit als unreflektierte. - Ressourcennutzung(orientierung):
Menschen setzen ihre vollen Ressourcen und Fähigkeiten ein, wenn sie das Vertrauen haben, dass sie dies dürfen. Wenn Sie an einem Platz arbeiten an dem sie sich erfolgreich zeigen können und auch ein Umfeld für Entwicklung bekommen. Organisationen, die insbesondere ihre Personalressourcen kennen, sich derer Potentiale bewusst sind und diese nutzen bzw. durch Entwicklung fördern und fordern, können viel agiler und spontaner auf Situationen eingehen, als Organisationen die „nicht können“, ständig „Unmöglichkeiten“ sehen und anderes. - Strukturklarheit (als Voraussetzung):
Um eine direkte, offene, aufeinander bezogene Kommunikation im Arbeitskontext zu ermöglichen, braucht es klare Strukturen. Die organisationalen Voraussetzungen sind klare Vereinbarungen über Strukturen, Verantwortungen und Rollen basierend auf dem Austausch von Wertehaltungen und Erwartungen. Unternehmen, die im Gegensatz dazu, zu Verwaschenheit, unklaren Strukturen und Rollen („sie wissen schon was zu tun ist“) neigen, schränken ihre agile Handlungsfähigkeit ein.
Und wo steht Ihr Unternehmen, Ihr Projekt?
Um festzustellen, wo Ihre (Projekt-)Organisation in Bezug auf Agilität und Autonomie sich weiterentwickeln kann, können sie sich an den Antworten folgender Fragen orientieren:
- Inwieweit gibt es regelmäßige, offene Reflexionsrunden in ihrem Unternehmen?
- Wie grenzen Sie Reflexion zu Diskussionen oder Feedbacks ab?
- Wie schätzen Sie die Feedback Kultur im Hinblick auf Offenheit, kommunikativer Qualität und Häufigkeit ein? Woran erkennen Sie das?
- Wo liegt ein Schwerpunkt der Kommunikation von Führungskräften: Im Reden, im Fragen, im ….?
- Wo können sich Mitarbeitende in Ihrem Unternehmen auch in anderen Fähigkeiten zeigen?
- Wie werden Lernprozesse in der Organisation gestaltet? Wie werden diese wahrgenommen?
- Wie schätzen Sie den Umgang mit Fehlern ein? Ist das überhaupt „ein Thema“?
- Wie offen können Fragen nach Unterstützung und Schutz gestellt werden? Kommt das vor?
- Wie oft wird über gegenseitige Erwartungshaltung gesprochen?
- Wie ist das Verständnis zu Rollen-/Funktions- und Prozessbeschreibungen? Was ist hilfreich? Was hinderlich?
- Wie oft werden Fragen in ihrem Unternehmen gestellt? Und inwieweit passen Fragen und Nachfragen zum Verständnis eines professionellen Auftretens?
Ausblick
Wenn jetzt Ihre Gedanken angeregt sind und sie vielleicht noch mehr Fragen haben als vorher, dann ist das für mich ein gutes Zeichen. Entwicklung entsteht nicht durch Vorgefertigtes, Plakatives, alles Beantwortende. Entwicklung entsteht, wenn wir Nachdenken, Reflektieren und uns darüber mit anderen austauschen. Und das nicht in Sinne von Richtig oder Falsch, sondern im Sinne von sowohl als auch. Das erweitert unsere Fühl-, Denk- und Handlungsmöglichkeiten.
Hierbei unterstützt die Auseinandersetzung mit Modellen und Haltungen der Transaktionsanalyse (kurz: TA). Transaktionsanalyse gehört in den Bereich der Humanpsychologie und ist darauf ausgerichtet Menschen und Organisationen in Ihrer Autonomie zu fördern. Dies erfolgt auf Basis einer für Kommunikation und Beziehungsgestaltung förderlichen Grundhaltung und Ethik.
Wie hängen praktizierte Verantwortung, Agilität und neue Arbeitsweisen mit Themen wie Vertrauen, Dilemmata-Kompetenz, Werteorientierung, Reflexionsfähigkeit, Lernen in Organisationen, Professionellem Verständnis u.a. zusammen? Lesen Sie in den nächsten Blogs mehr dazu.